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Das Ende der Eisenlüge – eine Kurzgeschichte

Der Magus

Der Magus sass an seinem Bürotisch und analysierte am Power-Mac die Schweizer Eisenszene. Der Magus war der Vorsitzende einer Bruderschaft, die sich dem Ziel Phönix verpflichtet hat. Es handelt sich um eine verblüffend einfache Denkweise: je mehr Menschen krank sind, desto besser gedeiht die Gesundheitswirtschaft. Die Gesundheitswirtschaft ist der treibende Motor für die Wirtschaft schlechthin, sie wächst deutlich schneller als andere Wirtschaftszweige. Damit das Projekt Phönix global weiterhin gedeihen kann wie in den letzten fünfzig Jahren, braucht es kranke Menschen. Dazu kommt der globale Eisenmangel wie gerufen.

Die halbe Menschheit leidet an einem unbehandelten Eisenmangel – vor allem Frauen wegen ihrer Menstruation und Kinder wegen ihrem Mehrbedarf. Sie werden immer wieder unnötig abgeklärt, falsch behandelt oder sogar psychiatrisiert – für teures Geld und ohne Chance auf Heilung. Das Projekt Phönix sorgt dafür, dass die Eisenmangelpatienten, die das Eisen dringend benötigen, dieses Element eben nicht erhalten – weil die meisten dadurch gesund würden. Das wäre brandgefährlich für die Gesundheitswirtschaft. Die Bruderschaft weiss, dass Eisenmangelpatienten mit Eisen geheilt werden könnten. Deshalb setzt sie seit über fünfzig Jahren gezielt die Eisenlüge ein, die in allen Lehrbüchern abgedruckt und von den Ärzten auswendig gelernt wird. Diese sind deshalb nicht in der Lage, Eisenmangelpatienten rechtzeitig zu erkennen, geschweige denn erfolgreich mit Eiseninfusionen zu behandeln.

Das war das Geheimnis der Bruderschaft, das wie in einer Schatztruhe gehütet wurde. Nur die Bruderschaft kannte die Wahrheit, sie waren die Erleuchteten. Das Geheimnis lautet: Der Eisenmangel darf nicht behandelt werden. Die Erleuchteten lassen die halbe Menschheit absichtlich leiden, damit an ihnen Geld verdient werden kann. Phönix hat sich in den letzten fünfzig Jahren erfolgreich global durchgesetzt. Die ganze Welt glaubt an die Eisenlüge. Kein Arzt der Welt ist bereit, seinen Eisenmangelpatienten das fehlende Eisen auf wirksame Weise direkt in die Venen zurück zu geben, damit sie gesund werden. Ausser eben – dummerweise – in der Schweiz seit zwanzig Jahren.

Der Magus brütete über seinem Mac. War das Projekt Phönix in Gefahr? In der Schweiz wurde das Eisenmangelsyndrom wiederentdeckt, das von den Ärzten inzwischen landesweit mit Eiseninfusionen behandelt wird. Das Geheimnis der Bruderschaft wurde in Helvetia gelüftet. Das hätte nicht geschehen dürfen – insbesondere nicht im Zeitalter von Social Media, wo sich solche Neuigkeiten schnell viral verbreiten. Wie soll die Bruderschaft auf die Schweizer Eisenbewegung reagieren? Immerhin hat die Bruderschaft die WHO, die Gesundheitswesen, Universitäten und Regierungen gut im Griff. Alle glauben an die Eisenlüge. Die WHO, die Lehrbücher und Professoren sind die Ausführenden. Sie haben dafür gesorgt, dass der globale Eisenmangel überhaupt existiert. Der Magus war stolz auf seinen organisierten Eisenmangel.

Die Schweiz kann jetzt aber nachweisen, dass der globale Eisenmangel gar nicht sein muss und geht als Vorbild mit ihrer Heilung voran. Sie spricht sogar schon davon, die Eisenlüge entlarvt zu haben. Handelt es sich dabei um einen Sturm im Wasserglas oder musste man diese Entwicklung ernst nehmen? Der Magus griff zum Telefon. 

Die WHO 

„Hier ist die WHO“, begrüsste ihn eine weibliche Stimme. „Magus“, antwortete er. „Ich würde gerne den Direktor sprechen. Es handelt sich um eine dringende Angelegenheit“. Sie stellte ihn durch. Der Direktor hörte erstaunt zu. Er hatte auch schon gehört, dass in der Schweiz die Eisentherapie durchgeführt wird. Der Magus erklärte ihm, dass es um das Projekt Phönix gehe und die WHO mithelfen müsse, den globalen Eisenmangel zu fördern. „Dies gelingt, indem ihr den Ärzten beibringt, dass für alle Frauen und Kinder ein Ferritinwert von 15 ng/ml genüge, um gesund zu sein. Darüber hinaus müsst ihr ihnen mitteilen, dass Eisenpillen wirksam seien. Die Ärzte glauben, was WHO sagt. So einfach ist es. Das gibt uns die Garantie dafür, dass viele von ihnen krank bleiben und wir an ihnen viel Geld verdienen können, weil sie das fehlende Eisen nicht erhalten. Sie werden immer wieder unnötig abgeklärt, falsch behandeln und falsch psychiatrisiert – für teures Geld und ohne Chance auf Heilung“. Der Direktor runzelte zwar die Stirn, begriff dann aber doch: Hier sprach der Magus – also gab es keine Widerrede. „Wir tun’s“, versprach er, bevor er auflegte. In der Folge senkte die WHO den unteren Normwert für Ferritin auf 15 ng/ml. Gemäss Berichterstattung der Schweizer Medien geschah dies im Sommer 2019. 

Der Bundesrat 

Der Magus wählte erneut eine Telefonnummer. Bundesrat Alain Berset meldete sich persönlich. Der Magus erklärte ihm die Gefahr, die von der Eisenbewegung ausging: die Gesundheitswirtschaft war in Bedrängnis. Also sollte die Eisentherapie wieder verschwinden. Der Bundesrat erklärte dem Magus: „Die Eisentherapie ist landesweit schon derart tief in der medizinischen Grundversorgung verankert, dass sie nicht mehr wegzudenken ist“. Stille. Dann sagte der Magus schliesslich: „Machen wir einen Kompromiss. Ich verstehe, dass du die Eisentherapie nicht mehr verbieten kannst, sie ist zu weit verbreitet. Aber du kannst dafür sorgen, dass die Kassendeckung für die Eisentherapie eingeschränkt wird auf diejenigen Frauen, deren Ferritinwert unter 15 ng/ml liegt. Das führt dazu, dass etwa neunzig Prozent der Eisenmangelfrauen ihre Eisentherapie selbst bezahlen müssen, was hoffentlich die gewünschte Bremswirkung zur Folge haben wird. Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass die Eisenbewegung über die Schweizer Grenzen wächst. Sonst hätten wir bald den Beginn einer gefährlichen Globalisierung. Das gäbe zu viele gesunde Menschen, was die Gesundheitswirtschaft in Schieflage bringen würde“. Der Bundesrat schwieg.

„Ich weiss“, fuhr der Magus fort, „ dass es für dich nicht einfach ist. In der Schweiz gibt es starke Kräfte, die sich für die Eisentherapie einsetzen, insbesondere innerhalb der Ärzteschaft. 2007 wurde sogar eine Organisation gegründet mit dem Namen Swiss Iron Health Organisation SIHO, die sich für die Frauengesundheit einsetzt. SIHO hatt sich als Gegenpol zur WHO positioniert. SIHO fördert die Frauengesundheit mit Eiseninfusionen, während sie von der WHO bekämpft wird mit der Eisenlüge“.

Der Bundesrat dachte nach. Er wusste, dass die Krankenkassen seit zwanzig Jahren aus Solidarität mit den Frauen die Eisentherapie bezahlen. Sie können ja nichts für ihre Menstruation. Also wird es für ihn schwierig, die bisherige Kassenpflicht einzuschränken. Das Volk würde ihn nicht verstehen. Er konnte sich doch als sozialdemokratischer Bundesrat nicht als Mensch outen, der Frauen wegen ihrer Menstruation diskriminiert. Der Magus fragte: „Hast Du mir zugehört?“. „Natürlich“, sagte Alain Berset. „Aber du verlangst zu viel von mir. Ich kann die Kassendeckung nicht aufheben. Seit zwanzig Jahren sind die Krankenkassen solidarisch mit den Frauen. Warum sollen sie diese bewährte Solidarität jetzt plötzlich aufgeben“? Der Magus entgegnete: „Du weisst genau, dass wir mit dem Projekt Phönix die Gesundheitswirtschaft ankurbeln. Wir dürfen den Eisenmangel nicht behandeln. Nur so können wir Geld verdienen. Ob es dir in den Kram passt oder nicht, ich verlange es von dir.“ Der Bundesrat wusste, er hatte keine Wahl. Es sei denn…

…Der Bundesrat untersuchte die Bedeutung der Menstruation für den weiblichen Eisenmangel sowie die Notwendigkeit der Eisentherapie seit 2015. Er konsultiert seit 2015 alle ein bis zwei Jahre etwa dreissig Stakeholder. Die dritte und letzte Stakeholder-Konsultation endet am 21. Januar 2020. Erst danach wird der Bundesrat seinen Entscheid bekannt geben.

Er weiss inzwischen genau, dass die Menstruation zu Eisenmangel führen kann und betroffene Frauen deshalb das verlorene Eisen zurück brauchen. Also weiss er auch, dass die Schweizer Ärzte korrekt handeln, wenn sie Eisenmangelpatienten schon im Frühstadium erkennen und behandeln. Wie könnte er da widersprechen?

Auf der anderen Seite war der Magus, der ihn unter Druck setzt. Der Bundesrat wusste, dass auch die WHO dem Druck des Magus ausgesetzt war und deshalb den Ferritinwert für Frauen auf 15 ng/ml gesenkt hat. 

Der Bundesrat und die WHO 

Der Bundesrat rief die WHO an. Die Direktorin hörte sein Anliegen mit grossem Interesse an. Er müsse die Kassenpflicht einschränken und damit die Eisentherapie in die Schranken weisen. Das könne er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Die Direktorin sagte zu ihm: „Ich verstehe deine Bedenken, schliesslich haben die Frauen das gleiche Recht auf genügend Eisen wie die Männer. Naturgewollt haben sie aber im Vergleich zu ihnen nur einen Zehntel davon. Deshalb leidet vor allem sie an Eisenmangel und nicht die Männer“. Alain Berset war erstaunt, dass sie ihn dermassen gut durchschaute. „Ich glaube kaum“, entgegnete er, „ dass ich die Kassenpflicht einschränken kann. Der Zorn des Volks wäre zu gross“. Die Direktorin erwiderte: „Du hast keine Wahl, schliesslich hat es der Magus befohlen. Auch wir haben ihm gehorcht und den Ferritin auf 15 hinunter gedrückt, damit es noch mehr kranke Menschen gibt“.

Alain schwieg.

Sie fuhr fort: „Weisst Du, gegen den Magus mit seinem Projekt Phönix kann sich niemand durchsetzen. Er und seine Bruderschaft haben die Gesundheitswesen voll im Griff“. Der Bundesrat widersprach: „Ich glaube nicht, dass dies für die Schweiz noch zutrifft. Hier wird die Eisentherapie landesweit durchgeführt. Über eine Million Betroffene wurden schon erfolgreich behandelt – mit Hilfe von über 10‘000 Ärzten“ und in den Spitälern.

Die Direktorin dachte nach. Sie erhielt vor einigen Wochen einen Brief von SIHO mit der Aufforderung, die Eisentherapie gemeinsam zu globalisieren. Sollte sie dem Bundesrat davon erzählen? Sie entschloss sich dazu. Als sie endete, erwiderte der Bundesrat, auch einen Brief von SIHO erhalten zu haben mit derselben Aufforderung. Sie diskutieren über die Idee. Die Direktorin sagte: „Die Eisentherapie ist zwar ausserordentlich wichtig für die ganze Welt. Sie darf sich aber nicht durchsetzen, weil sonst die Gesundheitswirtschaft in Gefahr geraten würde. Also müssen wir das Angebot von SIHO ablehnen und dem Magus gehorchen. Das Kapital steht über der Gesundheit. Du weisst – das Projekt Phönix“.

Der Bundesrat schwieg.

„Es sei denn“, fuhr sie fort, „Du siehst eine andere Lösung“.

Er musste nicht lange darüber nachdenken. Für ihn war der Fall längst klar. Die Kassendeckung für die Eisentherapie darf in der Schweiz nicht abgeschafft werden. Alain spürte, wie sich die Nackenhaare aufrichteten, ihm wurde kalt. Sollte er es wagen, ehrlich zu sein? Schliesslich gestand er: „Nur über meine Leiche“. „Wie bitte?“, fragte sie. Er erklärte: „Ich sehe eine andere Lösung, die du offenbar noch nicht in Betracht gezogen hast. Wie wäre es ausnahmsweise einmal mit der Wahrheit? Seit über fünfzig Jahren wird die Eisenlüge verbreitet, damit die halbe Menschheit an Eisenmangel leiden muss. Alles ist dem Projekt Phönix untergeordnet, das vom Magus ins Leben gerufen wurde. Es geht nur ums Geld auf Kosten der Gesundheit“. Er war wütend und liess sie es spüren.

Sie schwieg. Er fuhr fort: „Du weisst genau, dass die Welt an die Eisenlüge glaubt. Die Eisenlüge kann aber logischerweise nicht auf Argumente zurückgreifen, die sie stützen würden. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis, dass ein Ferritinwert von 15 ng/ml für alle Frauen und Kinder genügt, um gesund zu sein. Es handelt sich dabei um reinen Glauben. Im Gegensatz dazu verfügt die SIHO über Daten – und somit ein Wissen –, die das Gegenteil beweisen. SIHO kann nachweisen, dass Frauen und Kinder gleich viel Eisen brauchen wie Männer. Während die Welt im Rahmen des Projekts Phönix an die Eisenlüge glaubt, weiss Helvetia die Eisenwahrheit. Die Schweizer Ärzte haben unser lange behütetes Geheimnis durchschaut. In der Schweiz wurde die Schatztruhe geöffnet. In Helvetia hat das Wissen den Glauben ersetzt“.

Die Direktorin traute zuerst ihren Ohren nicht. Was hat der Bundesrat da soeben gesagt? Die Schweiz hat die Eisenlüge durchschaut und die Eisentherapie landesweit eingeführt? Untermauert mit wissenschaftlichen Daten? Sie atmete tief durch, zögerte einen Moment und sagte dann: „Ich kann dich sehr gut verstehen, lieber Alain. Ich werde beim Magus ein gutes Wort für dich einlegen. Das werde ich sogar gerne tun, weil ich selbst auch schon erfolgreich mit Eisen behandelt wurde. Aber das darf ich meinen Mitarbeitern natürlich nicht sagen, sonst wäre ich abtrünnig und mein Job stünde in Gefahr.  Vielleicht kommt ja einmal der Zeitpunkt, bei dem ich mich outen werde, so wie du es jetzt in der Schweiz tust. Du musst wissen, ich stehe hinter dir. Nachdem das Kapital in den letzten fünfzig Jahren auf Kosten der Eisenmangelpatienten auf dem Vormarsch war, wirst du als Held des Rückzugs in die Medizingeschichte eingehen. Die Gesundheitswirtschaft kann endlich schrumpfen dank gesunden Menschen. Damit brichst du dem Projekt Phönix das Genick“. 

Der Magus und der Bundesrat

Der Magus wusste, dass es brenzlig werden könnte – je nach Entscheid der Schweizer Regierung. Sollte sich das Eisenprojekt in der Schweiz endgültig durchsetzen und sogar über die Grenzen fliessen, wäre das Projekt Phönix am Ende. War das vielleicht eine Art Vorsehung? Durfte es denn überhaupt sein, das das Projekt Phönix ewig blühte dank einer absichtlich krank gehaltenen Bevölkerung? War nicht irgendwann einfach genug und die Zeit reif für ein Umdenken? Sollten die Gesundheitswesen nicht endlich entlastet werden dank einer gesünderen Bevölkerung? Sollte die Bruderschaft das Projekt Phönix sogar von sich aus aufgeben und die Eisentherapie fördern, nachdem das Geheimnis in der Schweiz gelüftet wurde und Helvetia jetzt auch erleuchtet ist?

Der Magus wurde sich zunehmend bewusst, dass es Zeit war zum Handeln. Er wählte die Telefonnummer des Bundesrats. Er gratulierte ihm zu seinem mutigen Schritt und fügte hinzu: „Du bist wirklich ein Held des Rückzugs, viele Patienten werden dir dankbar sein, dass du die Kassendeckung für die Eisentherapie aufrecht erhalten hast. Du bist auch ein Vorbild für die Bruderschaft. Wir werden nach fünfzig Jahren das Projekt Phönix aufgeben. Die Eisentherapie soll globalisiert werden. Wir stehen euch nicht mehr im Wege und werden damit aufhören, die Eisenlüge zu verbreiten“. Der Bundesrat war zufrieden. Das war ein schwieriger, aber notwendiger Schritt, den er getan hat.

Jetzt konnte er an die Arbeit gehen. Zusammen mit SIHO und WHO soll ein Globalisierungsprojekt entstehen. Helvetia, die sprichwörtliche “Mutter Schweiz”, ist gleichzeitig dynamische Innovatorin und globale Eisenpionierin. Sie hat erkannt, dass Frauen wegen ihrer Menstruation und Kinder auf Grund ihres Wachstums bis zu zehnmal tiefere Eisenwerte haben als erwachsene Männer. Und sie weiss: Sobald dieser naturbedingte Unterschied ausgeglichen wird, verschwinden in den meisten Fällen die Beschwerden. Helvetia will dieses Wissen mit der Welt teilen.

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