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Leserbrief in der Ärztezeitung: Der Glaube der Eisenliga an die Wirksamkeit des Eisens

Prof. Johann Steurer, Leiter, Horten Zentrum für praxisorientierte Forschung und Wissenstransfer, Universität Zürich

Dr. med. Stefan Markun, Institut für Hausarztmedizin, 
Universität Zürich

Der Glaube der Eisenliga an die Wirksamkeit des Eisens

Brief zu: Schaub B, Büchel B. Offener Brief zum Eisenmangel. Schweiz Ärzteztg. 2019;100(47):1572.

Wenn man aus der Geschichte der Medizin ­etwas lernen will, dann ist es Folgendes. Das Wissen, das allein auf persönlicher Erfahrung beruht, kann korrekt sein, oder falsch, und für einige Patienten fatal. Über Jahrhunderte wurden fiebrige Patienten, basierend auf der Erfahrung, zur Ader gelassen. Nicht nur einem ehemaligen Präsidenten der USA, auch vielen anderen Menschen wurde damit die Zeit auf dieser Erde aber verkürzt. Moniz A. E., Neurologe und Politiker, hat hunderten psychisch kranken Menschen mit einem Messer einen Teil des Frontalhirns vom Rest des Gehirns ­getrennt (Lobotomie). Einige Patienten sind daran gestorben, ob die Überlebenden einen Nutzen davon hatten, ist sehr unwahrscheinlich. Es könnten noch weitere Irrtümer, die auf Erfahrung beruhten, angefügt werden.

Auch wenn Herr Dr. Schaub seine grosszügige Eisentherapie aufgrund tausendfacher Erfahrung propagiert, heisst dies noch lange nicht, dass sein Glauben daran der Realität entspricht und die daraus abgeleiteten Empfehlungen zu Gunsten der Patienten sind. Es ist schon erstaunlich, dass ein Dr. med. im Zeit­alter der «wissenschaftlichen» Medizin derartige auf Erfahrung basierende Glaubenssätze verbreitet, diese auch geglaubt werden und die Krankenkassen dafür auch noch bezahlen, sogar gerne, wie in dem Brief an den Bundesrat steht.

Es besteht kein Zweifel, Patienten mit einer ­Eisenmangelanämie mit Eisen zu behandeln. Es herrscht zudem breiter Konsens unter den Experten, dass Menschen mit einem Ferri­tin­wert unter 15 ng/ml, auch wenn sie keine An­ämie ­haben, von einer Eisentherapie profitieren. Jenseits von 15 ng/ml ist die Sache jedoch nicht so klar. Aufgrund der Ergebnisse randomisierter Studien ist die Wahrscheinlichkeit sehr klein, dass eine Eisentherapie hier einen positiven ­Effekt hat. Eisen hatte eine vergleichbar grosse Wirkung wie ein Plazebo-Präparat.

Bei den von Dr. Schaub in seinen Schriften aufgeführten Symptomen des frühen Eisenmangels handelt es sich um Symptome, die in der Bevölkerung häufig vorkommen. Müdigkeit, Schlafstörungen, Erschöpfungszustände und noch andere Beschwerden sind auch bei Menschen mit normalen Ferritinwerten nicht selten. Es lässt sich in der Regel kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Ferritinwert und den Symptomen herstellen.

Zu bedenken ist auch, dass eine Eiseninfusion kein «Zuckerwasser» ist, sondern Menschen – sehr selten – infolge dieser Infusionen ge­storben sind. Nach Presseberichten soll eine Eiseninfusionskur bis zu 1000 Franken kosten. Da nach Angaben von Dr. Schaub die Hälfte der Bevölkerung einen frühen Eisenmangel haben soll, ist seine Entdeckung nicht nur eine Epidemie von ungeahntem Ausmass, sondern auch ein «gutes Geschäft».

Bei sorgfältiger Indikationsstellung ist Eisen, oral oder parenteral, eine wirk- und heilsame Substanz. Wenn Eisen aufgrund persönlichen Glaubens, und dieser Glaube im Widerspruch zu den Ergebnissen der Forschung steht, Pa­tienten mit sogenannt frühem Eisenmangel verschrieben wird, ist es im besten Fall eine Verschwendung des Geldes der Prämienzahler. Wenn Krankenkassen das gerne tun, dann wünsche ich mir von den Krankenkassen eine plausible Erklärung dafür.

Antwort von Dr. Beat Schaub

2 Kommentare

  1. Nina 27. Januar 2020

    Ist nicht das eigentliche Problem, dass Mediziner und Patienten noch keinen Weg gefunden haben, Eisenmangel-Symptome wie „Erschöpfung“ zu quantifizieren und damit greifbar und vergleichbar zu machen?

    Wenn ich von meiner „Erschöpfung“ spreche, meine ich:
    …Im Treppenhaus spätestens nach dem dritten Stockwerk Pause machen müssen, weil die Muskeln zittern und Atemnot einsetzt
    …Im Fitness-Studio von Sporteinheit zu Sporteinheit bei Übungen weniger statt mehr Wiederholungen schaffen
    …Den Kopf am Schreibtisch aufstützen müssen, weil er zu schwer in Position zu halten ist
    …Nicht mehr kochen, weil die Körperspannung fehlt, um länger in der Küche stehen zu können
    …Verabredungen kurzfristig absagen müssen, weil im Cafe sitzen zu anstrengend geworden ist, und irgendwann gar keine Verabredungen mehr vereinbaren
    …Morgens drei Wecker stellen müssen, um überhaupt aus dem Tiefschlaf aufwachen zu können
    …Sich an immer weniger Tagen für die eigene Gesundheit einsetzen können

    Sind das wirklich „Symptome, die in der Bevölkerung häufig vorkommen“, wie Herr Steurer meint? Was er wohl unter „Erschöpfungszuständen“ versteht?

  2. Nadia Coin 26. Januar 2020

    Erstaunlich ist auch das in der heutigen Zeit Ärzte und Professoren sich gegenseitig nicht respektieren und schätzen können zu Gunsten der Gesundheit.Es stimmt mich traurig das Politik und Medizin/Wissenschaft so vermischt werden “muss”.

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